Mittwoch, 1. September 2010

Fleischeslust

Der Tanz ums goldene Kalb hat begonnen. Das Tier wird zum Gott erhoben. Der Mensch wird Vegetarier. Iris Radisch outet sich als Priesterin einer neuen Religion. Und Jonathan Safran Foer frohlockt: an amerikanischen Universitäten gibt es schon 18 Prozent Vegetarier – mehr als Katholiken. Weil der aufgeklärte Mensch einen transzendenten Gott als höchste Instanz leugnen muss, unterscheidet ihn nichts mehr von den Tieren. Wenn er aber auch nur Tier ist, hat er sein Recht Tier zu essen verwirkt. Das Ganze verkaufen uns Radisch und Foer dann als moralischen Fortschritt. Wie dumm! Die frühen Christen befreiten uns einst von den Essensvorschriften der Religionen und nun kehren sie in noch radikalerem Gewand zurück. Fleischverzicht total. Warum predigt eigentlich niemand Sexverzicht? Vegetarier seien sexy, so Foer. Und Radisch meint, dass der Verzicht allen helfen würde. Was die beiden wohl zum Thema Zölibat zu sagen hätten? Interessanterweise werden katholische Priester ob ihres freiwilligen Verzichtes auf Sex in diesen Tagen geradezu verachtet. Der Sexualtrieb wird als Natur des Menschen und damit ununterdrückbar festgestellt. Aber wenn der Mensch auf Fleisch verzichten kann, um dadurch die Welt zu verbessern, warum können dann nicht Priester dem Geschlechtsverkehr entsagen? Das Leid der Tiere in Massenzuchten sei unbestritten, was aber ist mit dem Leid der Frauen und Männer im Sexgeschäft? Wäre weniger Sex nicht ungemein heilsam für unsere Welt. Angefangen von den Problemen mit AIDS, Überbevölkerung und Sexualstraftaten bis hin zu den traumatischen Folgen bei unseren Kindern, die keine intakten Familien mehr vorfinden. Sollte der Mensch nicht zu allererst sein soziales Verhalten in Frage stellen und ändern, bevor er ein paar Schweine vor dem Metzger rettet? Die Vegetarier lehren uns, dass Verzicht durchaus eine Befreiung sein kann. Der Mensch bleibt frei, zu essen oder nicht zu essen, was ihm beliebt. Scheinheilig wird es erst, wenn er Tiere schützt und gleichzeitig Menschen verletzt. Pervers ist derjenige, der auf Steaks verzichtet, aber ungehemmt in der Gegend herumvögelt. Der Mensch wird dem Tier immer ähnlicher und der Mensch wird sich selbst immer mehr zum Tier. Was unsere Zeit braucht ist Menschlichkeit.

Tiere sind auch nur Menschen von Iris Radisch
http://www.zeit.de/2010/33/Vegetarismus-Essay

Tiere essen von Jonathan Safran Foer
http://www.kiwi-verlag.de/36-0-buch.htm?isbn=9783462040449

Freitag, 13. März 2009

Heilung im Blutbad?


Die beinahe zeitgleichen Amokläufe in Winnenden und im US-Bundesstaat Alabama offenbaren die menschliche Krise unserer globalisierten Gesellschaft. Deutschland gleicht Amerika mehr als es denkt, von der Wirtschaftskrise bis zur Mentalität. Was fehlt dieser Gesellschaft, dass es immer wieder zu solchen Exzessen kommen muss? Und was sagt uns der von dem Film „Zeiten des Aufruhrs“ (Sam Mendes, 2008) so treffend geprägte Ausdruck: hoffnungslose Leere?

Beginnen wir unsere Suche bei dem 17-jährigen Täter von Winnenden. Die Polizei verkündete schon sehr bald ein „gekränktes Ego“ als Motiv. Ein Schulpsychologe sprach von Mobbing in den Klassen, das bekämpft werden müsse. Ein gefälschter Foren-Eintrag im Internet brachte es auf den Punkt: „Niemand erkennt mein Potential.“ Und was sehen 3,8 Millionen meist Jugendliche Zuschauer am Abend nach dem Amoklauf? Wie Vorbild Heidi Klum zusammen mit ihren zwei Side-Kicks teilweise noch minderjährige Mädchen fertig macht und hinterher scheinheilig fragt: „Ich weiß auch nicht warum die jetzt weint“. Im Rauswurf der Bewerberin Tessa zeigt sich dasselbe Muster, das den Täter Tim K. in Winnenden in eine Depression stürzte. Tessa beklagt sich in der Sendung „Germany‘s Next Top Model“, dass sie nicht als Mensch gesehen werde. Sicherlich ist es nicht Aufgabe einer Casting-Show Menschlichkeit zu demonstrieren, aber dieses Verhalten hat unsere Gesellschaft wie ein Krebs befallen. Bis hinein in die Schulen und Kindergärten reicht dieser Irrglaube, dass nur wer angepasst lebt, gesellschaftlich anerkannt werden kann. Die anderen werden ausgestoßen, wie vor 2000 Jahren die Aussätzigen.

In der Legenda Aurea ist folgende Geschichte überliefert: Kaiser Konstantin wurde von einer unheilbaren Lepra befallen. Die Götzenpriester rieten ihm darauf dreitausend Kinder töten zu lassen und sich in dem noch warmen Blute zu baden. Doch die Mütter der Kinder kamen zu Konstatin und schrien in lautem Jammer. Da erbarmte sich Konstantin der Kinder, gab sie ihren Müttern zurück und nachdem ihm Petrus und Paulus im Traum erschienen waren, ließ er sich taufen. Das Taufwasser heilte schließlich seine Krankheit und Kaiser Konstantin befahl, dass von nun an das ganze römische Reich an Jesus Christus als den einzigen wahren Gott glauben sollte.

Liest man diese Zeilen und denkt an die Schlagzeile der Bild-Zeitung „BLUTBAD“, dann muss jedem schlagartig klar werden, was mit hoffnungsloser Leere gemeint ist. Kein strengeres Waffengesetz, kein Verbot von Computerspielen und auch keine Metalldetektoren an Schulen, nichts von dem kann die Krankheit unserer Gesellschaft heilen. Tim K. sah sich unheilbar aussätzig, ein Dämon flüsterte ihm zu: „Nur das Blutbad kann dich retten, dann erkennen alle deine Stärke, dann werden alle (sogar deine Eltern) erstaunt sein, zu was du fähig bist!“

Auch die Finanzkrise lässt sich leicht mit dem Verlust der Menschlichkeit und einem Blick auf die sieben Todsünden erklären. Die Manager der Banken waren befallen von der Vorstellung, dass sie nur Anerkennung finden könnten, wenn sie immer höhere Gewinne erzielten. Um sich zu heilen, mordeten sie tausende von Kindern. Das Blutbad in dem sie sich rücksichtslos badeten heißt: Gier und Selbstsucht. Vielleicht würde es uns gut tun, das ein oder andere Mal in die Bibel zu schauen oder auch die Legenda Aurea zu lesen, denn alle Menschlichkeit hat dort ihren Ursprung. Auch heute gibt es Vorbilder, die eine ähnlich große Wirkung haben, wie früher die Heiligen. Doch welche Botschaft geht von ihnen aus – von Heidi Klum, Josef Ackermann und wie sie alle heißen?

Die Heiligen des Mittelalters waren meist Märtyrer, also Opfer. Sie haben an ihrem Glauben, an der Nächstenliebe bis zuletzt festgehalten. Sie hatten die unbeschreibliche Hoffnung, dass der Mensch gut ist und die Gemeinschaft jedem ermöglicht in seiner Weise ge- und beachtet zu werden. Und was tun wir? Was verbreiten die Medien jeden Tag? Durch die andauernde Berichterstattung und die unermüdliche Suche nach einer Erklärung für den Amoklauf wird der Täter zum Märtyrer stilisiert, das Blutbad geheiligt. Wo bekommen einmal die Opfer und die Barmherzigen ihren Platz im Himmel der modernen Götter? Bringt keine Quote, Auflage und Page-Impressions gehen runter! Ja, aber kann das die Antwort auf die offensichtliche Not der Gesellschaft sein?